Glossar Sexualität / Thema
1. Chromosomales Geschlecht
Jede Zelle des menschlichen Körpers hat 23 Paar Chromosomen, die bis auf ein Chromoso- menpaar des Mannes gleichförmig sind. Dieses eine Paar besteht beim Mann aus einem (weiblichen) X- und dem singulären (männlichen) Y-Chromosom.
Nur die Eizellen der Frau und die Spermien des Mannes tragen einen halben Chromosomen- satz in sich, so dass bei einer Befruchtung der Eizelle das auf jedem Fall (weibliche) X- Chromosom der Frau mit einem X- oder einem Y-Chromosom des Mannes ein neues Chro- mosomenpaar bildet, nur im letzten Fall entsteht mit sehr seltenen Ausnahmen ein chromo- somal männliches Lebewesen.
Es hat den Anschein, als würden bei den Spermien die männlichen Y-Chromosomen über- wiegen, zumindest beträgt das Geschlechtsverhältnis von Knaben zu Mädchen bei der Emp- fängnis ca. 130 zu 100. Offenbar aber sind männliche Föten weniger überlebensfähig, da sich bis zur Geburt das Verhältnis auf 106 zu 100 fast ausgleicht.
2. Gonadales Geschlecht
Der menschliche Embryo, der sich zunächst kaum von Embryonen anderer Säugetiere unter- scheidet, ist in den ersten Wochen immer weiblich oder - wie sich viele Wissenschaftler lieber ausdrücken - ambisexuell. Ab der 6. Woche entwickeln sich beim männlichen Fötus die Ho- den (männliche Gonaden), ab der 12. Woche beim weiblichen Fötus die Eierstöcke (weibliche Gonaden). Entfernt man jedoch diese künftigen Hoden bzw. Eierstöcke vor der Differenzie- rung, entwickelt sich der Embryo zu einem weiblichen Wesen, dem nur die Eierstöcke fehlen.
3. Hormonales Geschlecht
Die Hormone, die von den Hoden und Eierstöcken produziert werden, spielen im Embryonal- stadium nur für das männliche Wesen eine Rolle. Androgene (die in viel geringerer Menge auch vom weiblichen Körper produziert werden) maskulinisieren die ursprünglich weiblichen Fortpflanzungswege und bilden dabei die
4. Inneren Geschlechtsorgane.
Beim männlichen Embryo sind dies zunächst der Samenleiter und die Samenbläschen. Ein weiteres männliches Hormon lässt die Vorform der weiblichen inneren Geschlechtsorgane (Gebärmutter und Eileiter) verkümmern. Fehlen diese hormonellen Einfluss, entstehen in je- dem Fall weibliche Organe. Das weibliche Geschlecht ist daher das fundamentale, ursprüngli- che. Ist ein vom Chromosomensatz her männlicher Fötus androgenresistent, findet keine vor- geburtliche Maskulinisierung statt, an Stelle des Penis entsteht eine Klitoris, an Stelle des Ho- densacks Schamlippen. Nach der Geburt eines solchen Mädchens mit inneren Hoden statt Eierstöcken genügt die geringe männliche Produktion des weiblichen Hormons Östrogen für eine fast normale weibliche Pubertät, allein die Menstruation bleibt aus.
5. Äußere Geschlechtsorgane
Gegen Ende des 3. Schwangerschaftsmonats entwickeln sich beim männlichen Fötus durch Hormonsteuerung Penis und Hodensack. Die bereits im Unterleib existierenden Hoden wan- dern später in den Hodensack. Ohne hormonellen Einfluss entstehen die weiblichen äußeren Geschlechtsorgane, Klitoris, innere und äußere Schamlippen.
6. Zugewiesenes/anerzogenes Geschlecht
Zum Zeitpunkt der Geburt dürfte das psychische Geschlecht undifferenziert sein. Wie ein Kind jede nur denkbare Sprache erlernen kann, kann es jede nur mögliche Form menschlichen Sexualverhaltens und Rollenverständnisses annehmen. So berichten Money und Erhardt die Lebensgeschichte eineiiger Zwillinge. Dem einen wurde bei der Beschneidung versehentlich der Penis abgebrannt. Auf Anraten der Ärzte erzogen die Eltern den Jungen als Mädchen, steckten ihn mit 17 Monaten erstmals in Mädchenkleider, frisierten ihn wie ein Mädchen, gaben ihm einen Mädchennamen. Mit 21 Monaten wurde begonnen, seine Genitalien operativ umzuwandeln. Bald zeigte sich, dass dieser umdefinierte Junge braver und ordentlicher war als sein Zwillingsbruder. (Spätere Berichte lassen allerdings vermuten, dass das Kind die weibliche Geschlechtsidentität nur partiell angenommen hat.)
Es gibt wohl kein geschlechtskonformes, nur ein rollenkonformes Verhalten, das auch von fortschrittlichen Eltern gegen ihre bewusste Erziehungsideologie vermittelt wird: Mütter stil- len männliche Säuglinge pro Tag länger, stimulieren sie mehr durch Berührung und Bilder (aufmerksam machen), wogegen sie weibliche Babys häufiger imitieren. Jungen werden häu- figer an der Brust gestillt als Mädchen und müssen ihre Milch weniger schnell trinken, Mäd- chen werden früher entwöhnt: "Schon die Mutter akzeptiert in ihrem Neugeborenen den Mann und gesteht ihm seinen eigenen Willen zu, bricht jedoch diesen eigenen Willen beim Mäd- chen." (Ursula Scheuch)
Unzählige weitere Klassifizierungsbeispiele (akustische/optische Stimulation, längere/kürzere Schlafenszeiten, gründliche/lässige Sauberkeitserziehung, rosa/blaue Kleidung, Mädchen- und Jungenspielzeug) machen erst aus Kindern Mädchen und Jungen. Wenn vierjährige Mädchen zweiteilige Badeanzüge tragen, ist dies genauso wenig natürlich wie vierjährige Jungen, die ihr Weinen unterdrücken, weil ein Indianer angeblich keinen Schmerz kennt.
7. Geschlechtliche Selbstidentifizierung
Bis zum Alter von vier Jahren haben Kinder die ihnen zugewiesene Geschlechterrolle in der Regel so weit verinnerlicht, dass sie sich selbst unwiderruflich als männlich oder weiblich identifizieren, auch wenn sie - weil es für sie weniger wichtig ist als Freud meinte - männliche und weibliche Geschlechtsorgane noch verwechseln. Manche Wissenschaftler vermuten so- gar, die Geschlechtsidentität könne während der ganzen Kindheit flexibel bleiben und würde erst durch Hormonschübe in der Pubertät unwiderruflich festgelegt.
Permanenter Link Geschlecht - Erstellungsdatum 2020-03-19