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Glossar Sexualität / Thema

Masturbation

Die Selbstbefriedigung, zum Lustgewinn auch in der Tierwelt üblich, war im Altertum nur bei jenen Völkern verpönt, die um ihr Überleben kämpften und in der Masturbation eine Vergeu- dung des zeugungsfähigen Samen sahen. Griechen und Römer dagegen praktizierten Selbst- befriedigung zum Vergnügen, aber auch aus gesundheitlichen Gründen. Ärzte glaubten, dass der männliche Samenvorrat faulen könne und daher regelmäßig ausgestoßen werden müsse: Frauen sollten zur Erhaltung der natürlichen Gesundheit masturbieren oder sich von ihrem Arzt masturbieren lassen.

Der vergebliche Kampf des Christentums gegen die Masturbation knüpfte an das alttestamen- tarische Verbot der Samenvergeudung an. Daher war es nur konsequent, wenn römische Mo- raltheologen erklärten, dass Frauen die Sünde der Masturbation gar nicht begehen können, weil sie keinen Samen haben. Die jede Selbstbefriedigung verbietende Lustfeindlichkeit spiel- te eine untergeordnete Rolle.

Bis ins Mittelalter war die Masturbation auch von Kleinkindern durch ihre Eltern üblich, ab- gesehen von einigen unter dem Enthaltsamskeitsgebot leidenden Theologen sah niemand in der Selbstbefriedigung ein moralisches oder gesundheitliches Problem. Erst der Kapitalismus, repräsentiert durch das Bürgertum, verdammte unter dem Vorwand entsetzlicher Gesund- heitsschäden die fälschliche Onanie genannte Masturbation. Es gab fast keine Krankheit, die nicht auf dieses "Laster" zurückgeführt wurde. Zur Rettung der Gesundheit Jugendlicher schreckten Ärzte und Kinderfreunde vor keiner Barbarei zurück. Half die psychische Ein- schüchterung nichts, wurde masturbationsverdächtigen Jugendlichen Nachthandschuhe mit scharfen Metallspitzen oder Zwangsjacken verpasst, Ärzte empfahlen die Infibulation, das Durchbohren der Vorhaut bzw. Schamlippen und das Durchziehen eines Ringes oder die Ent- fernung der Klitoris. Antimasturbationsschulbänke verhinderten das Aneinanderreiben und Zusammendrücken der Beine, die untere Öffnung in Toilettentüren sollte die Kontrolle aller Toilettenbenutzer ermöglichen, die französische Medizinerakademie forderte ein Verbot von Nähmaschinen, weil ihr Fußantrieb Frauen zur Masturbation verleiten könne usw. In Wirklichkeit aber ging es den oft hysterischen Antimasturbationskämpfern nicht um Ge- sundheit, sondern um Abrichtung zur Selbstbeherrschung, Triebverzicht, Leistung, also zu den Kardinaltugenden des Bürgertums im frühen Kapitalismus. (Der medizinische Kreuzzug gegen die Masturbation war daher eine moderne Erscheinung, die sich ausschließlich auf die westliche Welt beschränkt hat.) Das Verbot sexueller Lustbefriedigung ohne Zeugungszweck sollte und konnte "nutzlose" Triebe zu Sekundärtugenden umwandeln, den Körper entfremden und ihn dadurch maschinentauglich machen, jeden Widerstandsgeist brechen. Wie fast jeder von uns weiß, war für ihn der Kampf vergeblich, Statistiken belegen, dass dies auch für die meisten unserer Mitmenschen gilt, für Männer und Frauen, Kinder und Alte, denn wie Helmut Kentler feststellte: "Nicht die Onanie ist krankhaft, sondern ihr Fehlen." Einzig die fatale Leichtigkeit, mit der masturbierend Lust und Befriedigung gewonnen wer- den kann, schränkt das Lob der Selbstbefriedigung ein.

Permanenter Link Masturbation - Erstellungsdatum 2020-03-19


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